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Königsdisziplin Lieferketten- und Ressourcenplanung: mehr Sicherheit in unsicheren Zeiten

Bild: geralt, Pixabay.com

Die Krisen unserer Zeit haben bei vielen Unternehmen Spuren hinterlassen, in Form von Absatz- und Bedarfsschwankungen, Lieferengpässen, Störungen der Fertigungsabläufe oder Kostensteigerungen, was sich nicht nur in der Anpassung von Planung und Geschäftsstrategie niederschlägt, sondern auch in wachsenden Anforderungen an die betrieblichen Anwendungssysteme und die IT-Infrastrukturen. Um Risikofaktoren durch destabilisierte Lieferketten zu vermeiden und die Planungssicherheit zu verbessern, setzen immer mehr Unternehmen auf eine Diversifizierung der Lieferketten und Multilieferantenstrategien, Supply Relationship Management (SRM) Systeme und transparente, in Echtzeit verfolg- und steuerbare Lieferketten.

Die Corona-Pandemie, der Klimawandel und politische Konflikte haben in den vergangenen Monaten und Jahren zu einer Destabilisierung von Lieferketten beigetragen. Die aktuelle Energiekrise und Knappheit bei Rohstoffen und Vorprodukten in der Industrie schüren die Unsicherheit und treiben das Preisniveau zudem weiter an, was die angespannte Situation bei Fertigungsunternehmen zusätzlich verschärft. Deutschland ist mit seinen starken Industriezweigen wie etwa dem Automobil- und Zuliefermarkt, High-Tech, dem Metallverarbeitenden Gewerbe oder Maschinen- und Anlagenbau auf die Endmontage von Produkten fokussiert, für die viele Vorprodukte und Bauteile von Industriepartnern benötigt werden. Bleibt die Lieferung von Rohstoffen oder Vorprodukten aus, gefährdet dies die Fertigungsabläufe aller am Wertschöpfungs- bzw. Herstellungsprozess beteiligten Unternehmen – die Kehrseite unserer über Jahrzehnte gewachsenen Kollaborationsnetzwerke.

Nachfrage nach Lieferanten-/Supplier-Management-Funktionen wächst

Ein effektives Lieferantenmanagement hat für die Industrie der DACH-Region daher immens an Bedeutung gewonnen, um etwaige Flaschenhälse frühzeitig zu identifizieren und Risiken bestehender Single-Sourcing-Strategien zu vermeiden. So gehen auch vermehrt die Einkäufer von Industrieunternehmen wieder dazu über, Lieferanten in regionaler Nähe zum Produktionswerk zu verpflichten – nicht nur um die gestiegenen Logistikkosten zu umgehen, sondern auch, um Ausfällen bei der krisengeschüttelten Speditions- und Transportbranche entgegenzuwirken. Das von der Bundesregierung am 22.07.2021 erlassene und zum 01.01.2023 in Kraft tretende Lieferkettengesetz nimmt zudem die hiesigen Betriebe in die Verantwortung, die unternehmerischen Sorgfaltspflichten, wie die Wahrung von Menschenrechten, in den Lieferketten sicherzustellen. Eine zusätzliche Compliance-Anforderung, die viele Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt

Bild: Riki32, Pixabay.com

Der Bedarf an Add-on-Werkzeugen und ERP-Funktionen zur Unterstützung von Multilieferantenstrategien, SRM-Funktionen zur Bewertung wichtiger Lieferanten sowie BI-Reports und Kennzahlen zu Liefertreue, Lieferfähigkeit oder individuellen Risikofaktoren ist in den vergangenen 24 Monaten sprunghaft angestiegen. Beim Lieferanten-Scoring wird etwa eine Punkte-Bewertung anhand verschiedener Kriterien vorgenommen und als Grundlage für die Lieferantenbewertung genutzt. Als Bewertungskriterien dienen unter anderem mögliche Liefermengen, Qualität von Produkt und Services, Einhaltung von Lieferterminen, Preise und Total Cost of Ownership, Vertrauen, Entfernung, Abhängigkeit zum Lieferanten, Marktmacht, Liefer- und Zahlungsbedingungen oder Kundenorientierung. Die zugrunde gelegten Kriterien lassen sich zudem je nach individuellem Anforderungsprofil gewichten, um ein passenderes Risikoprofil zu ermöglichen.

Mit Advanced Planning & Scheduling (APS) gegen Kapazitätsengpässe

Eine weitere Herausforderung, mit der heute immer mehr Industrieunternehmen im Tagesgeschäft zu kämpfen haben, ist der Ausfall oder die Verknappung (sowie die oft damit einhergehende sprunghafte Verteuerung) von Ressourcen. Dies kann etwa Rohstoffe, Vorprodukte oder sonstige Materialressourcen, aber auch Maschinen und personelle Ressourcen betreffen. Auch heute noch stören die Auswirkungen der Pandemie und die zeitweise kritische Personalsituation die Produktionsabläufe immens, so dass vielerorts nur noch mit reduzierter Workforce produziert werden kann. Planungsprozesse sind in der heutigen Komplexität unserer Produktionsabläufe mitunter sehr fehleranfällig. Mit vielen in der Industrie eingesetzten PPS-Systemen werden Produktionsabläufe noch gegen unendliche Ressourcen geplant – oder aber mit verfügbaren Ressourcen, die jedoch nicht in Echtzeit ermittelt werden können. Im Ergebnis entsteht keine zuverlässige Produktionsplanung, sondern allenfalls ein Soll-Ablauf. Umso wichtiger ist es, möglichst viele Einflussfaktoren der Fertigungsprozesse sowie der Lieferketten zu berücksichtigen und die Daten der Produktionsplanung mit den Daten der Bedarfsplanung zu vernetzen, um auch künftige Entwicklungen besser zu antizipieren. Feinplanungswerkzeuge und APS-Systeme übernehmen die Fertigungsaufträge aus dem ERP-System und optimieren die Reihenfolge der Aufträge und Prozesse unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen. So ermitteln sie durch Optimierungsrechnungen der Multiressourcenplanung nicht nur realistische Fertigungstermingerüste, sondern sind auch in der Lage auf Basis individueller Zielvorgaben die Termintreue zu erhöhen, Durchlaufzeiten zu minimieren, Lagerbestände zu reduzieren oder die Ressourcenauslastung zu erhöhen. Eine Vernetzung mit vor- und nachgelagerten Systemen der Fertigung erhöht dabei die Zuverlässigkeit der Planungsprozesse und erlaubt eine optimierte Materialsteuerung.

Integration von Daten-Clouds

Ein ERP-System muss heute mit immer mehr vor- und nachgelagerten Systemen kommunizieren und interagieren – sowohl innerhalb der eigenen Systemlandschaft, als auch mit Drittsystemen über die Unternehmensgrenzen hinaus. Aufgrund der wachsenden Komplexität von Unternehmensanwendungen und der stetig wachsenden Anforderungen auf Anwenderseite setzen heute viele Unternehmen auf modulare Systeme – auch unterschiedlicher Anbieter („Best-of-Breed“) und trotz der Notwendigkeit, diese über Schnittstellen integrieren zu müssen. Die Anbindung von Daten, Anwendungen und Netzwerken aus der Cloud war für viele Unternehmen in den vergangenen Jahren ein probates Instrument, um die digitale Transformation mit überschaubarem Ressourceneinsatz voranzubringen und den Datenaustausch mit Kunden, Lieferanten und Partnern innerhalb der Supply Chain zu automatisieren. Damit verschärft sich für viele Unternehmen aber auch die Notwendigkeit, neue Skills und Ressourcen für die eigene Cloud-Strategie aufzubauen. Viele Unternehmen werden in den kommenden Jahren neue Fachkräfte mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten u.a. aus den Bereichen Cloud Security, Data Security, Cloud Governance, Compliance (DSGVO, ISO), Projektmanagement, Change-Management benötigen, um ihre Cloud-Transformationsstrategien im Rahmen ihrer gesetzlichen, Netzwerk- und Unternehmensvorgaben in die Tat umzusetzen. Mit Hilfe einer sogenannten Cloud-Orchestrierung lässt sich das Management unterschiedlicher Cloud-Ressourcen und Cloud-Services jedoch weiter vereinfachen, indem die Dienste über eine gemeinsame Plattform gebündelt und gesteuert werden. So lässt sich nicht nur das Zusammenspiel der jeweiligen Cloud- und Container-Dienste erheblich erleichtern und optimieren, sondern auch notwendige Ressourcen für die zunehmend beliebten Micro-Services bereitstellen.

Betriebs- und Datensicherheit im Zentrum der Cloud-Strategien

Die Industrie zeichnet sich neben hohem Technologieeinsatz vor allem durch eng verzahnte Prozesse und eine Vernetzung von Menschen und Objekten aus. Aber nicht nur die digitale Visualisierung, Verarbeitung und Speicherung muss in ein passendes Prozessgeflecht eingebettet sein. Auch der Datenaustausch mit vor- und nachgelagerten Systemen in- und außerhalb des eigenen Netzwerkes muss sicher und über zuverlässig arbeitende Schnittstellen gewährleistet werden. Dies umfasst nicht nur die Verfügbarkeit und Vertraulichkeit der Daten, sondern auch den Schutz der Datenintegrität, einschließlich Verarbeitungsmechanismen, Speicherung und Übermittlung, Zugangs- und Zugriffssicherung, Datenschutz und Schutz der IT-Infrastrukturen und IT-Systeme. Hierfür sind mitunter sehr granulare Sicherheitskonzepte und zusätzliche Technologien erforderlich. Die vernetzte Produktion smarter Fabriken der Industrie 4.0 stellt aufgrund ihrer komplexen Schnittstellen-Landschaft ein besonderes Bedrohungsziel dar, für das es – im Gegensatz etwa zur Finanzindustrie – vielfach noch keine einheitlichen Richtlinien, Vorgaben und Protokolle gibt. Welche Geräte dürfen welche Daten miteinander austauschen? Wie ist die Kommunikation abgesichert (Intrusion Prevention)? Sind alle Geräte mit neuesten Patches ausgestattet? Welche Personen dürfen welche Daten lesen, ändern oder löschen? Sind Domain- oder Netzwerkbeschränkungen hinterlegt? Wie werden Zugriffe und Ereignisse protokolliert? Welche Daten gelten als kritisch? Und welche Protokolle greifen bei einer Unterbrechung des Datenflusses, um etwaige Auswirkungen auf das Tagesgeschäft so gering wie möglich zu halten? Orientierung bietet hier etwa der Cybersicherheitsstandard IEC 62443, der wesentliche Anforderungen an ein ICS- (Industrial Control System) Sicherheitsmanagementsystem und Industriestandards für Anlagenbetreiber und Systemintegratoren behandelt.

Wachsende Anforderungen an mobile Lösungen

Hybride Arbeitsmodelle haben sich in den vergangenen zwei Jahren in den meisten Bereichen der deutschen Wirtschaft fest etabliert. Mobile Lösungen und vernetzte virtuelle Arbeitsumgebungen sollen dabei standortunabhängig die Produktivität störungsfreie Ablauforganisation gewährleisten. Auch in der Industrie und etwa der diskreten Fertigung kommen mobile Lösungen zum Einsatz, um wichtige Entscheidungen auf Basis von Echtzeitdaten zu ermöglichen und Störungen des Betriebsablaufs schnell zu beheben. Für mehr Mobilfähigkeit sind Unternehmen vermehrt dazu übergegangen, ihren Beschäftigten statt der gewohnten Desktop-Arbeitsplätze Laptops und Smartphones zur Verfügung zu stellen, wie es etwa beim Außendienst in den Bereichen Vertrieb, Service, Beratung oder Logistik schon seit langem praktiziert wird. Laut dem Branchenverband Bitkom e.V. greifen mittlerweile rund drei Drittel aller Anwender mit Hilfe von z.B. Notebooks auf ERP-Systeme zu, rund die Hälfte über das Smartphone und ein gutes Viertel auch über das Tablet. Mobil auf benötigte Informationen wie Angebote, Preise und Konditionen, Bestellungen, Aufträge, Stammdaten, Warenbestände oder Liefertermine zuzugreifen, ist für die Prozesseffizienz und -Prozessqualität von hoher Bedeutung.

Mit der Ausweitung der mobilen Nutzung von ERP-Systemen geht jedoch auch ein verändertes Nutzungs- und Bedienkonzept einher, um ein gewisses Maß an Effektivität und Produktivität zu erhalten. Denn gegenüber den Desktop PCs erfordert der Einsatz auf Mobilgeräten mit ihren limitierten Bildschirmgrößen sehr einfache und intuitive Bedienroutinen. Der Umgang mit Apps im privaten Umfeld hat auch die Anforderungen an die mobile Nutzung von Geschäftsanwendungen geprägt. Kontextsensitive Funktionen, Bedienung per Touchscreen und einfache Bedienkonzepte ohne notwendige Schulungen sind Parameter, an denen sich die mobilen ERP-Lösungen heute messen lassen müssen. Demgegenüber steht aber eine noch schleppende App-Entwicklung der ERP-Anbieter. Die Aufspaltung der hochintegrierten ERP-Anwendung in mehrere native, rollen- und bereichsbezogene Apps ist bislang nur in kleinen Teilbereichen vollzogen bzw. steht bei den meisten Anbietern gar noch auf der Roadmap. Insbesondere die Anforderungen an die Daten- und Informationssicherheit sowie die Offline-Fähigkeit, wenn eben beim mobilen Einsatz keine stabile Internetverbindung besteht, machen die App-Entwicklung zu einer komplexen und ressourcenintensiven Herausforderung. Während die einen (nicht Cloud-nativen) ERP-Hersteller zunächst das Lösungsportfolio um zusätzliche Web-Anwendungen erweitert haben, um zumindest einen Teil der Anwendungslandschaft „mobil zu machen“, haben andere bereits ihre ERP-Lösung durchgängig auf Web-Technologien umgestellt und durch native Mobilanwendungen ergänzt. Nicht zuletzt weil immer mehr Zugriffe über Mobilgeräte erfolgen, dürfte das Angebot an nativen Apps für spezifische Anwendungsbereiche breitflächig noch weiter ausgebaut werden.

KI-Einsatz bleibt weiter hinter seinem Potenzial zurück

KI-basierte Anwendungen dringen in immer mehr Arbeitsbereiche vor und helfen heute mit intelligenten, lernenden Programmalgorithmen nicht nur bei der Auswertung und Nutzbarmachung stetig wachsender Datenmengen, sondern auch, Planungen und Prognosen zu verbessern, sich wiederholende Tätigkeiten zu automatisieren und strategische Entscheidungen zu erleichtern. Mit ihren vier Kernfähigkeiten „Wahrnehmen“ (Auswertung von Sensor-, Bild- und Videodaten), „Lernen“, „Verstehen“ (trainierbare Verfahren) und „Handeln“ (autonome Prozesssteuerung) sind KI-Anwendungen in ERP-Systemen sehr vielseitig einsetzbar. Sie spüren Anomalien und Fehlentwicklungen auf, triggern Prozesse und unterstützen die Selbstregulierung von Geschäftsanwendungen – zumindest in der Theorie. Denn in der Praxis sind die KI-basierten Funktionen in ERP-Systemen über die Datenerfassung, Rechnungseingangsbearbeitung sowie Service- und Supply-Chain-Optimierung hinaus noch recht überschaubar, insbesondere, wenn man das Potenzial der KI-Funktionen für ERP-Lösungen als Maßstab betrachtet. Eingabe per Spracherkennung, laut Fraunhofer IAIS die am häufigsten gewünschte KI-Funktion zukünftiger ERP-Systeme, Echtzeitübersetzungen und selbststeuernde Prozesse sind zwar attraktive Anwendungsszenarios. Aber vor allem die Anwendung von selbstregulierenden Systemen im individuellen Lösungs- und Unternehmenskontext erfordert Expertenwissen von Data Scientists, KI-Managern und KI-Entwicklern, um Daten für die Analyse aufzubereiten, lernfähige Algorithmen für den spezifischen Anwendungsfall zu entwickeln und die KI-Ausgabemodelle zu überwachen – ein Aufwand, den viele Unternehmen heute noch scheuen.

Artikel vom 19.01.2023

Schlagwörter: ERP