HR-Strategie der Zukunft: Lehren und lernen
Der SAP-Personalchef für Deutschland Wolfgang Faßnacht sieht ein wachsendes Tempo für Veränderungen am Arbeitsplatz, fordert netzwerkartige Strukturen ohne straffe Hierarchien und sieht in einem wertschätzenden, coachenden Führungsstil die beste Prävention gegen Burnout.
Herr Faßnacht, die Studie Workforce 2020 hat untersucht, in wie weit sich die Arbeit in den kommenden Jahren verändern wird. Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Überrascht wäre vielleicht zu viel gesagt, aber gefreut hat mich, dass endlich aufgeräumt wurde mit dem Ruf, der den so genannten Millennials vorauseilt. Dieser 20- bis 30-Jährige Nachwuchs legt nicht deutlich mehr Wert auf die Work-Life-Balance als ihre Kollegen, ihnen ist Bezahlung im Vergleich sogar genauso wichtig und sie fordern sogar mehr Feedback zu ihrer Arbeit ein: Es hat sich gezeigt, dass Millennials gar nicht so anders sind wie ihre älteren Kollegen. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, die ich seit Jahren als Mentor für SAP gemacht habe. Ich habe den Nachwuchs immer für zielorientiert, leistungswillig und intelligent gehalten. Millennials wissen um ihren Wert, sie fordern viel und sind sehr fokussiert – übrigens sind sie viel weiter als ich in diesem Alter war.
Das Tempo der Veränderungen hat in den letzten Jahren zugenommen. War der Produktzyklus vor sechs Jahren noch anderthalb bis zwei Jahre lang, erscheint ein neues Release heute in der Regel alle drei bis sechs Monate. Sind Mitarbeiter, die über Jahrzehnte ein anderes Tempo gewohnt waren, dem gewachsen?
Ja und nein. Hirnforscher bestätigen zwar, dass das menschliche Hirn Informationen umso langsamer verarbeitet, je älter der Mensch ist. Dafür sind Ältere besser in der Lage, die relevante Information zu erkennen. Bis in ein recht hohes Alter sind Menschen von ihrer intellektuellen Kapazität her gleich leistungsfähig. Allerdings trifft das für die Arbeitswelt nicht auf jeden zu. Wir sehen drei verschiedene Typen von älteren Mitarbeitern – jene, die nach wie vor Spaß haben an der Tätigkeit, die sie schon seit Jahren ausüben, weitere, die sich darauf verlegen, ihr Wissen etwa als Mentor weiterzugeben, aber auch Mitarbeiter, die einfach raus wollen.
Erfahrene Mitarbeiter können den jüngeren für deren beruflichen Weg einiges mitgeben. Wir haben Mitarbeiter, die in ihren letzten Arbeitsjahren nur noch zu 50 Prozent für SAP tätig sind. Die andere Hälfte ihrer Zeit arbeiten sie als Teilzeitprofessoren etwa an der Hochschule Karlsruhe und vermitteln Studenten dort ihre Fachkenntnisse und geben ihre Erfahrungen aus ihrer Zeit im Unternehmen weiter. Andersherum ist ein Austausch jedoch genauso möglich. Oft sind die Jüngeren versierter im Umgang mit sozialen Medien wie dem Einsatz von LinkedIn oder Kollaborationsplattformen. Auch dieses „reverse mentoring“ ist sehr wichtig. So können beide von den Erfahrungen des anderen lernen.
Ein weltweiter Trend ist, dass ein immer höherer Anteil der Mitarbeiter freiberuflich, befristet oder projektgebunden für eine Firma unterwegs ist. Was hat das für Konsequenzen für die Organisation?
In Deutschland sehen wir diese Entwicklung noch nicht so sehr. Die Gesetzgebung steuert hier auch ganz klar dagegen, indem sie es den Unternehmen schwermacht, Freiberufler oder Leiharbeiter über längere Zeit zu beschäftigen. Allerdings verändern sich die Organisationsstrukturen bereits. Gerade aufgrund des höheren Tempos haben starre, hierarchisch geführte Strukturen nach der Direktive „Command & Control“ ausgedient. Sie sind nicht geeignet, Entscheidungen schnell und wenn nötig auch unbürokratisch zu treffen: Das geht nur in netzwerkartigen, flexiblen Strukturen.
Gerade Konzerne tun sich hier herkömmlicherweise schwerer, flexible Strukturen zu schaffen …
Das sehe ich anders. Es gibt beispielsweise bei uns die Vertrauensarbeitszeit, die Möglichkeit, aus dem Homeoffice zu arbeiten oder ein Sabbatical einzulegen. Größe bringt den Mitarbeitern zudem auch große Chancen, in den verschiedensten Bereichen des Unternehmens zu arbeiten. Besonders für Führungskräfte ist es sogar erforderlich, nicht die so genannte Kaminkarriere einzuschlagen, also im gleichen Bereich vom Einsteiger zum Bereichsleiter aufzusteigen. Ich habe bei SAP auch erst im Training gearbeitet, dann im Produktmanagement, ehe ich vor einigen Jahren in den Personalbereich gekommen bin.
Was ist mit Mitarbeitern, die irgendwie ahnen, dass sie eigentlich für etwas anderes geschaffen sind?
Uns ist wichtig, dass die Menschen dem Job nachgehen, der ihnen Spaß macht. Viele sehen ihre Fähigkeiten gar nicht. Deshalb ist das schon erwähnte Mentoring-Programm so wichtig, aber auch jede Art der Weiterbildung, ob eLearning oder die Weitergabe von Wissen innerhalb der Abteilungen. Auch wenn es sich etwas pathetisch anhört: Wir versuchen, dass die Mitarbeiter ihren „Flow“ zur Arbeit finden. Und letztlich machen, was zu ihnen passt.
Die Arbeitsverdichtung und das auch schon angesprochene höhere Tempo tragen nicht dazu bei, dass das adhoc gelingt. Zudem zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sich gerade mal jede zweite Führungskraft zugesteht, Talente effektiv zu fördern, geschweige denn, mit Teams umgehen zu können, deren Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Was macht letztendlich gute Führung aus?
Die Arbeitsverdichtung für die Mitarbeiter ist in denn letzten Jahren enorm gewachsen. Gerade vor diesem Hintergrund ist gute Führung ein Schlüssel. Ich bin davon überzeugt, dass ein wertschätzender, coachender Führungsstil letztlich die Mitarbeiter am besten zu guter Arbeit motiviert – und übrigens auch eine gute Prävention etwa gegen Burnouts und psychische Erkrankungen ist. Klar ist aber auch, dass ein Mitarbeiter, der fachlich immer herausragende Leistungen bringt deswegen nicht auch eine gute Führungskraft sein muss. Deswegen machen wir parallel zur Managementkarriere, zu der ja meist auch Personalverantwortung gehört und damit auch Führungsqualitäten unerlässlich sind, die Fachkarriere möglich. Der Vice President und der Chief Expert sind dann gehaltsmäßig auf einer Stufe, auch wenn der Experte keine Personalverantwortung hat. Es gab auch schon Manager, die sich wieder für eine Fachkarriere entschieden haben.
Worin sehen Sie die drei wichtigsten Herausforderungen, vor denen Sie als Personalchef stehen?
Wichtig ist mir, den Führungskräften einen coachenden, loslassenden Führungsstil zu vermitteln. Das ist motivierender für die Mitarbeiter, schafft zudem mehr Eigenverantwortung. Zudem ist es unerlässlich, Talenten die Arbeitsbedingungen zu schaffen, die sie benötigen. Die Tätigkeit der Mitarbeiter sollten idealerweise mit den Wünschen und Fähigkeiten des Mitarbeiters übereinstimmen. Nicht zuletzt heißt Arbeiten auch Lernen. Und das heißt heute nicht mehr, eine Woche in einen Trainingsraum zu gehen. Jeder ist heutzutage Schüler und Lehrer gleichzeitig. Es ist so viel Wissen im Unternehmen: Das muss unbedingt weiter gegeben werden.
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Artikel vom 07.11.2014
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