Share

Komplexe Vergabeverfahren bei Aufträgen der öffentlichen Hand

Digitalisierung bei öffentlichen Auftraggeber

In den vergangenen Jahren sind in Deutschland viele infrastrukturelle Digitalisierungsprojekte angestoßen oder auch abgeschlossen worden, auch im Öffentlichen Bereich (digitale Gesundheitsämter, Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen etc.). Behörden und öffentliche Verwaltungen sind, im Gegensatz zu privatwirtschaftliche Unternehmen, jedoch an bestimmte Verfahrensweisen beim Einkauf und der Inanspruchnahme von IT-Komponenten bzw. IT-Services gebunden. Michael Gottwald, Geschäftsführer der Hamburger IT- und Softwareberatung SoftSelect GmbH, erläutert, welche Anforderungen öffentliche Auftraggeber beim Einkauf von IT-Lösungen erfüllen müssen.

Gesetzliche Grundlagen öffentlicher Vergabeverfahren

Da öffentliche Aufträge unter Verwendung von öffentlichen Geldern und von Einrichtungen mit besonderen wettbewerbsrechtlichen Anforderungen vergeben werden, unterliegen diese ab einem bestimmten Auftragsvolumen einer Ausschreibungspflicht. Seit dem 01.01.2022 gelten neue EU Schwellenwerte, die jedoch nach Art der Leistung (z.B. Bauleistungen, Lieferleistungen und Dienstleistungen), des öffentlichen Auftraggebers und dem jeweils zuständigen Bundesland variieren können. Die Schwellenwerte ergeben sich aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB und betragen für Liefer- und Dienstleistungsaufträge von oberen Bundesbehörden 140.000€, für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge ab 215.000€. Rund 90% aller öffentlichen Aufträge liegen im Unterschwellenbereich und werden durch die Unterschwellenvergabeordnung UVgO geregelt. Liegt der geschätzte Auftragswert über diesem Schwellenbereich, orientiert sich der Rechtsrahmen und das Vergabeverfahren an der Verordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge VgV.  Insbesondere komplexere IT-Projekte, wie etwa die Einführung von ERP-, ECM- oder HR-Lösungen, liegen vielfach über diesem Schwellenwert und müssen öffentlich oder gar EU-weit ausgeschrieben werden. Neben der VgV und dem GWB sind zudem die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) und die Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Dienstleistungen, kurz EVB-IT, als gesetzliche Grundlage für das Vergabeverfahren heranzuziehen. Je nach Gegenstand des Auftrags werden innerhalb der EVB-IT verschiedene Vertragsarten unterschieden, z.B. IT-Kauf, IT-Dienstleistung, IT-Instandhaltung, IT-Erstellung, IT-Service, IT-System (Komplettlösung inkl. Hardware, Software und Dienstleistung), IT-Systemlieferung oder IT-Überlassung (Typ A: Einmalvergütung und Typ B: periodische Vergütung).

Grundprinzipien der Vergabeverordnungen

Diesem komplexen Rechtsrahmen zur Vergabe öffentlicher Aufträge liegen im Wesentlichen die folgenden Grundprinzipien zugrunde:

  • Gleichbehandlung: Diskriminierungsverbot und gleiche Chancen für alle potenziellen Auftragnehmer
  • Wirtschaftlichkeit: möglichst kostengünstige Beschaffung; aber nicht das billigste Angebot, sondern das wirtschaftlichste Angebot ist zu präferieren
  • Transparenz: nachvollziehbare Dokumentation und Bereitstellung aller relevanter Informationen für sämtliche Beteiligten
  • Wettbewerb: Förderung und Stärkung der Wirtschaft mit ausreichender Berücksichtigung des Mittelstands.

„Sowohl die gesetzlichen Grundlagen als auch die konkrete Ausgestaltung des Vergabeverfahrens größerer öffentlicher Auftrage sind mitunter so komplex, dass vielfach spezialisierte Fachanwälte für Vergaberecht und spezialisierte Dienstleister wie SoftSelect hinzugezogen werden, um einerseits die für die öffentliche Ausschreibung notwendigen Dokumente vorzubereiten und zum anderen das Vergabeverfahren als solches compliance-konform umzusetzen“, so SoftSelect Geschäftsführer Michael Gottwald, der seit über

30 Jahren Unternehmen wie auch Organisationen der öffentlichen Hand bei der Ausschreibung von IT-Projekten und Einführung von betrieblichen Anwendungssystemen berät.

Ablauf des Vergabeverfahrens

Üblicherweise gliedern sich die Vergabeverfahren in die Phasen

  • Bedarfserfassung: Bedarfsanalyse und Feststellung, Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, notwendige Haushaltsmittel
  • Verfahrensvorbereitung: Markterkundung, Festlegung von Eignungs-, Ausschluss- und Bewertungskriterien, Erstellung der Vergabedokumente wie Anforderungskatalog, Ausschreibungs- und Rahmenbedingungen, Bewerbungsbedingungen, Zuschlagskriterien (Kriterienkatalog für Angebot), Preisblatt und Vertragsunterlagen (Leistungsbeschreibungen, Vertragsbedingungen, Systemvertrag, ADV-Vertrag)
  • Auswahlverfahren: Schätzung des Auftragsvolumens, Festlegung des Vergabeverfahrens, öffentliche Ausschreibung, Angebotsbewertung und Zuschlag
  • Abwicklung: Vertragsgestaltung, Projektmanagement, Organisation, Projektdokumentation, Melde- und Berichtspflichten, Projektumsetzung.

Verfahrensfehler können zur Aufhebung von IT-Ausschreibungen führen

 „Insbesondere die Verfahrensvorbereitung ist bei der öffentlichen Ausschreibung von IT-Projekten ein neuralgischer Punkt, der viele Organisationen der öffentlichen Hand nicht nur ressourcenseitig, sondern auch inhaltlich vor Herausforderungen stellt, da es oftmals schlicht an der notwendigen Expertise fehlt. Die fehlende oder missverständliche Benennung von Eignungskriterien in der Bekanntmachung, die fehlende Benennung von Unterkriterien oder eine fehlende Kriteriengewichtung etwa sind schwere Vergabemängel und können zu Nachprüfungsverfahren oder zur Aufhebung von öffentlichen Ausschreibungen führen“, so Michael Gottwald weiter. „Bei Aufträgen, die etwa in die EVB-IT Klasse der „IT-Systeme“ inklusive Software, Hardware und komplementären Dienstleistungen fallen, können die Leistungsbeschreibungen, Preisblätter sowie Anforderungs- und Kriterienkataloge zudem sehr komplex werden. Auch Rückfragen der Bieter zu den Vergabeunterlagen gehören zum Standard öffentlicher Ausschreibungen, daher sollten Angebots- sowie Zuschlags- und Bindefristen nicht zu eng bemessen werden. Denn auch die unterlassene Beantwortung oder nicht hinreichende Prüfung von Bieterfragen können ebenfalls schwerwiegende Verfahrensfehler darstellen. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, eindeutige und klare Vorgaben zu machen. Eingehende Bieterfragen können daher ein Hinweis auf potenzielle Mängel in den Vergabeunterlagen sein. Unterlässt der Auftraggeber in dem Fall die Korrektur oder beantwortet die Bieterfragen nur bilateral und leitet diese nicht, wie das Gleichbehandlungsprinzip es vorsieht, an alle Bieter weiter, kann hieraus ebenfalls ein Verfahrensfehler abgeleitet werden.“

Einsatz von Vergabe- und IT-Beratern im Vergabeverfahren

Die Aufgabe eines externen Vergabe-Beraters besteht darin, Verfahrensmängel im Vorwege und im Zuge des Vergabeverfahrens zu vermeiden und ein aktives Risikomanagement sowohl im Vergabeprozess, als auch bei der anschließenden Systemeinführung sicherzustellen. Spezialisierte IT-Berater sollten zudem nicht nur Unterstützung bei der Angebotsbewertung leisten können, etwa indem eingereichte Konzepte für die Umsetzung der Anforderungen bei Anpassungen auf Quellcodeebene überprüft werden, sondern auch die Koordination und Führung des Projektteams übernehmen. Dazu gehören etwa die Vorbereitung, Moderation und Nachbereitung von Projektreviews und Einführungsworkshops, Projektdokumentation (Projekthandbuch) und der Bewertung von Change Requests und deren Auswirkungen auf das Gesamtsystem.

Artikel vom 14.05.2024

Schlagwörter: Öffentlicher Dienst, ERP